Antje Blumenstein / 2001

Auf den ersten Blick jedoch war die Konstruktion, die den Außen – und Innenraum der Berliner Galerie Martin Mertens durchdrang, nicht als thematisch brisant zu erkennen. Doch hatte man erst einmal die Vorlage des spitzwinkligen Objekts erkannt, so war der Anstoss zur Interpretation gegeben. „Himmel und Hölle“ beruhte nämlich auf dem beliebten gleichnamigen Papierspiel, in dessen Faltungen sich normalerweise gegenteilige Begriffe befinden, die den Mitspielern beim Öffnen und Schließen des Mini-Orakels zugeteilt werden. Böse und Gut, Himmel oder Hölle sind die antagonistischen Perspektiven, die zur Auswahl stehen. Dass diese auf tradierten religiösen Vorstellungen basieren, wird kindlichen Spielern für gewöhnlich nicht bewusst. Antje Blumenstein indes setzt mit ihrer geradezu brachial wirkenden Plastik aus zersplitterten Spanplatten genau auf diese Dimensionen von geistlichen Regelwerken, die sich durch alle Religionen ziehen – mit den Aussichten auf ein erfülltes Jenseits oder ewige Verdammnis . An der gegenüberliegenden Galeriewand brachte sie zusätzlich einen Verweis auf Vorstellungen der Hölle beziehungsweise des Teufels an, wie sie der Islam verstehst – ein Verweis, der für uns in Unkenntnis der Terminologie schwer zu entschlüsseln ist: Der Schriftzug „er ging weg“ aus blauem Lichtschlauch ist das Synonym für Satan oder Sheitan, dessen Präsenz mit der Abwesenheit Allahs erklärt wird. Wo Gott nicht ist, ist automatisch der Sitz des Bösen: eine mögliche Kategorie des aufgeklappten Spiels. Mit der plakativen und durch ihre Heiterkeit irreführenden Ästhetik von Lichtschläuchen arbeitete Antje Blumenstein auch in ihrer Gestaltung „anyone can get into Heaven“ (2007). Der leuchtende Slogan persifliert Werbebotschaften der Verheißung und schließt so den Kreis von Antje Blumensteins inhaltlich wie formal höchst reflektierten Werken zum Spannungsfeld zwischen Religion und Gesellschaft.

The explosive content of the indoor/outdoor construction at Galerie Martin Mertens in Berlin was not immediately apparent, but once one had identified the model on which the spiky object was based, an interpretative framework was established. The piece is based on a popular children’s game, the origami „fortune teller“ in whose folds are written contrary terms to be assigned to players by the mini oracle via a process of opening and shutting. Good or evil, heaven or hell are the antagonistic prospects on offer. Children playing the game are not usually aware that these sets of opposites are based on conventional religious notions; but with her almost brutal sculpture made splintered chipboard. Antje Blumenstein focuses on precisely this dimension of rules that run through all religions – offering the prospect of a fulfilled afterlife or of enteral damnation. On the opposite wall of the gallery, she installed a further refrence to notions of hell and the devil as understood by Islam – a reference that is hard to decipher for those lacking knowledge of the corresponding terminology: the words „er ging weg“ (he went away), formed out of blue light chain, are synonymous with Satan or Sheitan, whose presence is explained by absence of Allah. Where God is not is automatically the locus of evil: one possible category in folded paper game. Antje Blumenstein also worked with the eye-catching and deceptively cheerful aesthetic of light chains in her work entitled „Anyone can get to Heaven“ (2007). The glowing slogan satirized the promises made by advertising, completing the circle of Antje Blumenstein’s highly reflected works on the tensions between religion and society.

Auszug Katalog Künstleraustausch Columbus Ohio-Freistaat Sachsen, S. Altmann (2008)

Antje Blumenstein, Bilder: Himmel und Hölle, er ging weg, 2006

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Antje Blumenstein

1967 geboren in Dresden, lebt und arbeitet in Berlin

1991-1994 Studium Grafik-Design, Akademie der Bildenden Künste Nürnberg

1994-1997 Studium Malerei/Grafik, HfBK Dresden

1997-1999 Meisterschülerin bei Eberhard Bosselt

1997-1999 Landesstipendium des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst Sachsen, HSP |||

1999 Robert Sterl-Preis der Sammelstiftung Dresden

2000 Arbeitsstipendium Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf

2001 Artist-in-Residence, Columbus/Ohio, USA

2005-2006 Atelierstipendium, Backfabrik Berlin

2021 Aufenthaltsstipendium der Kulturstiftung Schloss Wiepersdorf

Antje Blumenstein

Antje Blumenstein / 2001

Auf den ersten Blick jedoch war die Konstruktion, die den Außen – und Innenraum der Berliner Galerie Martin Mertens durchdrang, nicht als thematisch brisant zu erkennen. Doch hatte man erst einmal die Vorlage des spitzwinkligen Objekts erkannt, so war der Anstoss zur Interpretation gegeben. „Himmel und Hölle“ beruhte nämlich auf dem beliebten gleichnamigen Papierspiel, in dessen Faltungen sich normalerweise gegenteilige Begriffe befinden, die den Mitspielern beim Öffnen und Schließen des Mini-Orakels zugeteilt werden. Böse und Gut, Himmel oder Hölle sind die antagonistischen Perspektiven, die zur Auswahl stehen. Dass diese auf tradierten religiösen Vorstellungen basieren, wird kindlichen Spielern für gewöhnlich nicht bewusst. Antje Blumenstein indes setzt mit ihrer geradezu brachial wirkenden Plastik aus zersplitterten Spanplatten genau auf diese Dimensionen von geistlichen Regelwerken, die sich durch alle Religionen ziehen – mit den Aussichten auf ein erfülltes Jenseits oder ewige Verdammnis . An der gegenüberliegenden Galeriewand brachte sie zusätzlich einen Verweis auf Vorstellungen der Hölle beziehungsweise des Teufels an, wie sie der Islam verstehst – ein Verweis, der für uns in Unkenntnis der Terminologie schwer zu entschlüsseln ist: Der Schriftzug „er ging weg“ aus blauem Lichtschlauch ist das Synonym für Satan oder Sheitan, dessen Präsenz mit der Abwesenheit Allahs erklärt wird. Wo Gott nicht ist, ist automatisch der Sitz des Bösen: eine mögliche Kategorie des aufgeklappten Spiels. Mit der plakativen und durch ihre Heiterkeit irreführenden Ästhetik von Lichtschläuchen arbeitete Antje Blumenstein auch in ihrer Gestaltung „anyone can get into Heaven“ (2007). Der leuchtende Slogan persifliert Werbebotschaften der Verheißung und schließt so den Kreis von Antje Blumensteins inhaltlich wie formal höchst reflektierten Werken zum Spannungsfeld zwischen Religion und Gesellschaft.

The explosive content of the indoor/outdoor construction at Galerie Martin Mertens in Berlin was not immediately apparent, but once one had identified the model on which the spiky object was based, an interpretative framework was established. The piece is based on a popular children’s game, the origami „fortune teller“ in whose folds are written contrary terms to be assigned to players by the mini oracle via a process of opening and shutting. Good or evil, heaven or hell are the antagonistic prospects on offer. Children playing the game are not usually aware that these sets of opposites are based on conventional religious notions; but with her almost brutal sculpture made splintered chipboard. Antje Blumenstein focuses on precisely this dimension of rules that run through all religions – offering the prospect of a fulfilled afterlife or of enteral damnation. On the opposite wall of the gallery, she installed a further refrence to notions of hell and the devil as understood by Islam – a reference that is hard to decipher for those lacking knowledge of the corresponding terminology: the words „er ging weg“ (he went away), formed out of blue light chain, are synonymous with Satan or Sheitan, whose presence is explained by absence of Allah. Where God is not is automatically the locus of evil: one possible category in folded paper game. Antje Blumenstein also worked with the eye-catching and deceptively cheerful aesthetic of light chains in her work entitled „Anyone can get to Heaven“ (2007). The glowing slogan satirized the promises made by advertising, completing the circle of Antje Blumenstein’s highly reflected works on the tensions between religion and society.

Auszug Katalog Künstleraustausch Columbus Ohio-Freistaat Sachsen, S. Altmann (2008)

Bilder: Antje Blumenstein, Himmel und Höhle, er ging weg, 2006